Dienstag, 23. September 2025

William Kentridge: Gesellschaftliche Relevanz

Lustlos, desinteressiert? Biedere Kohlezeichnungen und Ankündigungen wie "Ein Schwerpunkt liegt auf Werken, die sich inhaltlich mit der wechselvollen Geschichte des Ruhrgebiets verknüpfen lassen." lassen einen nicht gerade vom Schreibtisch aufspringen. 
Aber: In diese Ausstellung muss man hinein! 
William Kentridge ist alles andere als ein Glückauf-Nostalget. 

OH TO BELIEVE IN ANOTHER WORLD
(Ausschnitt)
Museum Folkwang, Essen
4. September 2025 – 18. Januar 2026

Vielleicht findet man nicht gerade sein Schicksal und vermutlich auch keine besseren Menschen ... 

Tipps vorweg:


OH TO BELIEVE IN ANOTHER WORLD
Museum Folkwang, Essen
4. September 2025 – 18. Januar 2026



Eine persönliche Bemerkung vorweg

Als die Einladung eintrudelt, bin ich eher lustlos. Kohlezeichnungen sind nicht gerade mein Steckenpferd. 

Der Name sagt mir, offen gestanden, nichts. Ein Weißer in Südafrika, der weltberühmt ist. Das riecht nach den alten Kolonialstrukturen, nach dem Land der Apartheid, wo nur die Weißen genügend Muße haben, um zu studieren, Kunst zu machen, innovativ zu sein. Weiße wie Musk und Kentridge bekommen die Aufmerksamkeit.
Und dann bleibt uns hier wieder nur mal die Bergwerksgeschichte. Das Folkwang will mit Kentridge’s Werk anknüpfen an die eigene Geschichte. Bergbau. Das klingt auch nicht gerade spannend. „Ja, etwas anderes bleibt uns hier nicht“, sagt ein Freund, „Wir bekommen die Bergbau-Kunst, das andere darf nach Dresden.“ 

Alles falsch und dumm. Fangen wir also noch einmal an:

In diesem Herbst und Winter gibt es ein Vorhaben

Vielleicht gibt es auch zwei: Das Lebenswerk von William Kentridge im Essener Folkwang Museum und in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden kennenzulernen.

William Kentridge ist ein international bekannter Künstler und doch kein Star. Im Folkwang-Museum wirkt er wie ein gepflegter älterer Herr, sehr britisch oder sehr europäisch. (Gar nicht so, wie in den selbstironischen Filmen und Bildern.)

William Kentridge. Listen to the Echo
Museum Folkwang, Essen
4. September 2025 – 18. Januar 2026

Die Familie ist Anfang des 20. Jahrhunderts aus Litauen nach Südafrika geflüchtet, die Eltern Anwälte unter anderem von Nelson Mandela und Desmond Tutu, 1955 geboren im südafrikanischen Johannesburg, ein Südafrikaner, ein Weißer mit jüdischen und europäischen und afrikanischen Wurzeln. Einer, der unauflösbare Widersprüche im eigenen Leben, der eigenen Familie, dem eigenen Land und in der Geschichte kennt.

Hier nur Impressionen zu einigen seiner Werke - Impressionen, die sein Werk würdigen, wenn sie ihm auch leider nicht würdig sind: 

Die lächerliche Unerträglichkeit des Menschen

Ubu tells the truth ist eine Installation in Essen. Ab 1996 sollte die Truth and Reconciliation Commission die Apartheid aufarbeiten. Grundgedanke war Amnestie für öffentlich eingestandene Verbrechen. Darauf spielt William Kentridge mit Ubu tells the truth an. 

Ubu ist kein exotischer Fürst aus Takatukaland. Ubu ist Hauptfigur des Theaterstücks "König Ubu" (Ubu roi) von Alfred Jarry, das 1896 uraufgeführt wurde. Ubu ist primitiv, feig, gefräßig und machtbesessen. Was er repräsentiert, ist lächerlich, eklig, grotesk. Ein Held für die Apartheid. 

Hinzu kommt Kentridge's Misstrauen gegenüber allen, die die Wahrheit gepachtet haben.

Und das alles zu der wunderbaren Musik von Warrick Sony & Brendan Jury (?).  


Ubu tells the truth
William Kentridge. Listen to the Echo
Museum Folkwang, Essen
4. September 2025 – 18. Januar 2026


Unerträgliche Lächerlichkeit der Macht, die Traurigkeit der Flucht 

To cross one more sea ist eine weitere, grottentraurige Installation. Die Kaffeekanne, eins der rekurrierenden Bilder bei Kentridge, ist hier Kopf der Petains, der Nazis, der Kollaborateure. Die altertümliche Schreibmaschine  (ebenfalls eine der Metaphern in Kentridge's Werk) begleitet die Reise der französischen Emigranten aus Nazi-Frankreich in die Karibik. Martin Luther King, Trotzky und viele andere kreuzen die Reise. 
Hervorgehoben sei auch hier die wundervolle Musik, die die Filme begleitet.


To cross one more sea
William Kentridge. Listen to the Echo
Museum Folkwang, Essen
4. September 2025 – 18. Januar 2026

To cross one more sea
William Kentridge. Listen to the Echo
Museum Folkwang, Essen
4. September 2025 – 18. Januar 2026


Black Box

Black Box / Chambre Noir ist ein Welttheater en minature, mit Puppenspiel und Projektionen. Es behandelt den Völkermord an den Hereros 1904. Bei Kentridge sind sie aufständische Opfer.

Das überzeugt zumindest mich nicht. Die Hereros kommen schon viel früher anders und anderswo vor: In Thomas Pynchons "Gravity's Rainbow" (Die Enden der Parabel) sind die Herero eine Spezialeinheit der SS, die an der V-2-Rakete arbeitet. Bei Pynchon kommen die Ubus zu ihrem Recht: "Kolonien sind die Scheißhäuser der europäischen Seele, wo ein richtiger Kerl die Hosen runterlassen und relaxen kann ..." (Quelle) Die Hereros bei Pynchon sind im Zweiten Weltkrieg mittendrin bei den Tätern ... 

  • Thomas Pynchon - Gravity's Rainbow.
    Zu der Rolle der Hereros bei Pynchon: Andreas Selmeci/Dag Henrichsen: Das Schwarzkommando: Thomas Pynchon und die Geschichte der Herero.
    Pynchon Notes: https://share.google/YHnvzf19J6yvGqKx9

 

Black Box / Chambre Noir
William Kentridge. Listen to the Echo
Museum Folkwang, Essen
4. September 2025 – 18. Januar 2026


Wer schon einmal in die Ausstellung hineinschauen möchte, kann dies am Mittwoch, 24. September 2025, 17 - 17:30 Uhr, im Rahmen einer virtuellen Führung tun: https://www.museum-folkwang.de/de/fuehrung/digitale-fuehrung-william-kentridge-listen-echo.

Infos zu William Kentridge. Listen to the Echo im Museum Folkwang, Essen

  • Kooperation mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
  • Laufzeit: 4. September 2025 – 18. Januar 2026.
  • Adresse & Kontakt: Museum Folkwang, Museumsplatz 1, Essen. Tel. +49 201 8845 444, Mail: info@museum-folkwang.essen.de.
  • Anfahrt / ÖPNV: 
    Zu Fuß: Vom Südausgang aus ca. 15 min.
    ÖPNV: Im Hauptbahnhof (Südausgang, dem City-Hauptausgang entgegengesetzt) U11, 101 oder 107 (Richtung Gruga/Messe/Bredeney); zwei Stationen weiter Ausstieg "Rüttenscheider Stern"; der Fußweg (etwa 500 Meter) führt durch das szenige Viertel Rüttenscheid südlich des Folkwang-Museums, Bismarckstraße queren. 
  • Öffnungszeiten: Dienstag & Mittwoch 10 – 18 Uhr, Donnerstag & Freitag 10 – 20 Uhr, Samstag & Sonntag, Feiertage 10 – 18 Uhr.
    Montags geschlossen, ebenso an folgenden Feiertagen:  Rosenmontag, 24. & 25. Dezember, Silvester, Neujahr.
  • Eintritt: 14 Euro, ermäßigt: 8 Euro, Familienkarte mit 2 Erwachsenen: 29 Euro, Familienkarte mit 1 Erwachsenen: 15 Euro.
  • Ausstellungskatalog für die Essener und Dresdener Ausstellungen 38 Euro.
  • Führungen: werden nicht regelmäßig zu den einzelnen Ausstellungen angeboten, grundsätzlich gilt aber: sonntags zwischen 14 und 15 Uhr beginnt immer eine Führung - man weiß nur nicht, zu welcher der Ausstellungen. Kalender zu den Führungen.
  • Website zur Ausstellung im Folkwang-Museum.
  • Website Folkwang-Museum.
  • Veranstaltungskalender

Ausführliches Video zur Ausstellung William Kentridge. Listen to the Echo, u.a. mit Bildern zu Ubu tells the truth und To cross one more sea:



Fotos 

Alle Fotos: Folkwang-Museum, Essen, 3. September 2025, Pressekonferenz, (c) Vera Kriebel.

Ubu tells the truth


Ubu tells the truth
William Kentridge. Listen to the Echo
Museum Folkwang, Essen
4. September 2025 – 18. Januar 2026



Ubu tells the truth
William Kentridge. Listen to the Echo
Museum Folkwang, Essen
4. September 2025 – 18. Januar 2026



Sybil





 



Black Box / Chambre Noir







Porters
























Infotafeln zu William Kentridge. Listen to the Echo. Folkwang-Museum, Essen.










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