Samstag, 10. Februar 2018

Rückblick - Düsseldorf, K20, 2011: "Die andere Seite des Mondes"

Konstruktivismus, Dada, Surrealismus: "Die andere Seite des Mondes" im Düsseldorfer K20 widmet sich Avantgarde-Künstlerinnen der 1920er und 1930er Jahre. 
Dora Maar: Sans titre (Main-coquillage),
in der Ausstellung des K20
"Die andere Seite des Mondes. Künstlerinnen der Avantgarde."
(Düsseldorf 2011/2012) - Vera Kriebel, 20.10.2011

Am 21. Oktober 2011 wird im K20 die Kunstausstellung "Die andere Seite des Mondes. Künstlerinnen der Avantgarde" eröffnet - mit großartigen Kunstwerken. Ein Düsseldorfer Muss im Winter 2011/2012.
Gezeigt werden Malerei, Fotografie, Collage, Film, Skulptur, Marionetten und Modeentwürfe der acht Künstlerinnen Claude Cahun, Dora Maar, Sonia Delaunay, Florence Henri, Hannah Höch, Sophie Taeuber-Arp, Katarzyna Kobro und Germaine Dulac.

Wider dem "Verschwinden der weiblichen Moderne"

Die acht Künstlerinnen hatten den Höhepunkt Ihres Schaffens in den 1920er bis 1930er Jahren, sie kannten sich und haben mehr oder weniger intensiv "Networking" in der damaligen Künstler-Community betrieben. Und doch gehören sie nicht zu den Stars der Künstlermoderne.

Die weiblichen Moderne ans Licht zu bringen - dies ist Ziel nicht nur der aktuellen K20-Ausstellung "Die andere Seite des Mondes". Zumindest als Problem werde dies auch intensiv für die "männlich" dominierte K20-Kunstsammlung unter dem Stichwort "Grandes Dames" diskutiert, die eventuell um weibliche Künstler erweitert werden solle, so die Vertreter der Kunstsammlung-Nordrhein-Westfalen.
"Die andere Seite des Mondes" ist daher zunächst eher etwas für Eingeweihte, da es nicht vorrangig um die gezeigten Kunstwerke, sondern um die Darstellung der weiblichen Avantgarde der 1920er bis 1930er Jahre geht. Das heißt: Wer eine Kunst-Ausstellung nach gemäßigt feministischen Konzept besuchen möchte, ist hier richtig.
Claude Cahun: Keepsake,
Kunstausstellung des K20
"Die andere Seite des Mondes. Künstlerinnen der Avantgarde."
(Düsseldorf 2011/2012) - Vera Kriebel, 20.10.2011

Feministischer Ansatz angemessen?

Ob ein solcher in den 1980er Jahren wurzelnder feministischer Ansatz aber tatsächlich aktuell und hilfreich ist (verwiesen wird in diesem Zusammenhang gerne auf die Diskussion um die 3,7 Prozent Frauen in den Vorständen von DAX-Unternehmen), ist fraglich.



Ob er ausgestellter Kunst und Künstlern gerecht wird, darf ebenfalls bezweifelt werden. Die acht im K20 ausgestellten Künstlerinnen bildeten keine Künstler-Gruppe - sie waren mit mehr oder weniger Erfolg avantgardistisch tätig und kannten sich, das waren die hauptsächlichen Kriterien für die Aufnahme in die Ausstellung im K20.

Meisterhafte Kunst der klassischen Moderne

Und das, was dort an Kunstwerken zu sehen ist, ist tatsächlich außergewöhnlich (Abbildungen siehe unten): Zum Beispiel die Rekonstruktion einer Barausstattung im Bauhausstil und die Marionetten von Sophie Taeuber-Arp (der Gattin von Hans Arp), die quälend scharfkantigen und konkreten Selbstportraits von Claude Cahun (die stark an heutige Staged Photography erinnern), die bedrückenden Collagen von Hannah Höch ("Deutsches Mädchen"), die abgründigen, albtraumartigen, düster-mysteriösen Fotomontagen von Dora Maar (die ein wenig die beengte Atmosphäre der Schwarz-Weiß-Dokumentarfotos von Jürgen Heinemann evozieren), wundervolle konstruktivistische Skulpturen von Katarzyna Kobro, von der in Düsseldorf fünf der weltweit nur 19 erhaltenen Skulpturen zu sehen sind.

Dora Maar: Sans titre (Mains et miroir),
Kunstausstellung des K20
"Die andere Seite des Mondes. Künstlerinnen der Avantgarde."
(Düsseldorf 2011/2012) - Vera Kriebel, 20.10.2011

Warum nicht im Gesamtkontext des Konstruktivismus, Dadaismus und Surrealismus?

Besonders bei den älteren Künstlerinnen ist ihre Herkunft aus den Zeiten des Jugendstils und Bauhaus' mit der Hinwendung zum Kunstgewerbe merklich - und viele der ausgestellten Stoffmuster wirken allein deswegen altbacken, weil sie aufgrund des Alters vergilbt sind. Zuhause sind die Künstlerinnen aber im Konstruktivismus, im Dadaismus und Surrealismus. Und da sie zudem Netzwerkarbeit betrieben, teilweise mit bekannten Künstlern verheiratet waren und beileibe nicht nur unter Frauen Kontakte pflegten, stellt sich verschärft die Frage, warum sie denn nicht in diesen umfassenden Kontext gestellt wurden (der nun einmal auch männlich ist). Auch fehlt gänzlich der Bogen zur hauseigenen Kunstsammlung mit ihrem Schwerpunkt Klassische Moderne.

Die andere Seite des Mondes ... sollte man sich anschauen!

Wären sie etwa darin untergegangen? Angesichts der vom 22. Oktober 2011 bis 15. Januar 2012 im K20 ausgestellten wundervollen Kunstwerke kann davon keine Rede sein. Trotzdem meint die Kuratorin Susanne Meyer-Büser schon im Vorhinein eventuelle Kritik und Angriffe abwehren zu müssen: Warum die Arbeiten kunstgewerblich geprägt sind? Frauen konnten ja erst seit 1919 an einer Kunstakademie studieren. Und warum all die ausgestellten Arbeiten kleinformatig sind? "Waren Frauen etwa nicht selbstbewusst genug für Großformatiges?" Eine von Grund auf falsche Frage, auf die man im Publikum vermutlich gar nicht gestoßen wäre.
Und ein falscher Ausgangspunkt einer aus den genannten Gründen ungenügenden Ausstellung. Eine Ausstellung, die aber aufgrund der dort gezeigten hervorragenden Kunstwerke, eine der großen Winterempfehlungen 2011 in NRW bildet!
Claude Cahun: Sans titre (Mains),
Kunstausstellung im K20
"Die andere Seite des Mondes. Künstlerinnen der Avantgarde."
(Düsseldorf 2011/2012) - Vera Kriebel, 20.10.2011

Infos zu "Die andere Seite des Mondes. Künstlerinnen der Avantgarde."

  • Adresse: Kunstsammlung-Nordrhein-Westfalen, K20, Grabbeplatz, Düsseldorf. Der feministische Ansatz feiert in diesem Herbst unter dem Motto "Damenbesuch" in der Kunstsammlung fröhliche Urständ (unter anderem auch mit Künstlerinnen-Räumen im K21). Warum eigentlich, wenn doch - wie die Kuratorin Meyer-Büser selbst betont - die zeitgenössischen Künstlerinnen in der Kunstwelt "völlig gleichberechtigt auf der hellen Seite des Mondes" sind?
  • Laufzeit: 22. Oktober 2011 bis 15. Januar 2012.
  • Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 10.00-18.00 Uhr, samstags, sonntags, feiertags 11.00-18.00 Uhr, montags geschlossen.
  • Eintrittspreise: Erwachsene 12,00 EUR (Komiticket mit K21 17,00 EUR), ermäßigt 9,50 EUR (Kombi 13,00 EUR), Schüler, Kinder und Jugendliche (6 bis 18 Jahre) 1,00 EUR (Kombi 2,00 EUR).
  • Erläuterungen: Innerhalb der Ausstellung gibt es Wandtexte zur Biografie der Künstlerinnen und einen 40minütigen Film zur Ausstellung. Außerdem gibt es noch einen Audioguide mit Musik (kostenlos).
  • Führungen: donnerstags, 16.30 - 17.30, sonntags, 15.00 - 16.00. Kurzführungen behandeln einzelne Kunstwerke ("Kunsttipp am Mittag", donnerstags 13-13:30). Themen-Kinderführungen: sonntags, 15.00 - 16.30 (zum Beispiel Dada am 23.10.2011)
  • Umfangreiches Rahmenprogramm mit Musikinterventionen des notabu.ensemble, Vorträgen, Gesprächen, Lesungen, Filmprogramm, Kursen und Seminaren für Erwachsene, Jugendliche und Kinder, Fortbildungen, Schulklassenangeboten, Ferienprogramm.
  • Der Katalog "Die andere Seite des Mondes" kostet 34 Euro und bildet sämtliche ausgestellten Kunstwerke - allerdings etwas lieblos - ab. Die Texte konzentrieren sich auf die Biografien, die persönliche Geschichte der Frauen und stellen sie ausführlich als networking artists vor - haben also wie auch die Ausstellung einen gemäßigt feministischen Ansatzpunkt. Die Einordnung in die zeitgenössische Kunstwelt und ihre Wirkung ist wie in der Ausstellung selbst jedoch nicht ausreichend. Auch hier fehlen wieder die Werke der sie umgebenden männlichen Künstler, die im Katalog vor allem präsent sind als (Ehe)Partner.
  • Merchandising: Das nicht originelle weiße T-Shirt mit dem schwarzen Schriftzug "I AM IN TRAINING DON'T KISS ME" zitiert ein Selbstportrait von Claude Cahun und kostet zu viele 20 Euro.

(ursprünglich unter dem Titel "Düsseldorf: Moderne Kunst in K20-Ausstellung ab 21. Oktober 2011"
erschienen in suite101, 20.10.2011)


Fotos zu "Die andere Seite des Mondes. Künstlerinnen der Avantgarde."




















Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen