Dienstag, 30. August 2016

KIT, Düsseldorf - nach Glamour. Harmlose Kritik aus dem Putinland.

Alles so hübsch rosa hier
Rostan Tavasiev, Cinema
... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016

Unser Russlandbild: Putin. Unser Russen-Bild: neureiche Macho-Männer mit ihren jungen Glimmer-Blondinen, zur Schau gestellter Luxus als Statussymbol.

Russland ist mehr als 

Das (wer hätte das gedacht) ist natürlich nicht das ganze Russland. Dass es auch eine kritische Rezeption in der "postglamourösen Ära" (so der Pressetext) gibt, wollen Natalia Gershevskaya und Jewgenija Tschuikowa, die beiden Kuratoren von "... nach Glamour" und beide Künstler, die sowohl in Deutschland wie in Russland leben, zeigen.
(Zum Titel gäbe es auch einiges zu sagen: Was sollen eigentlich die Punkte am Anfang bedeuten? Und warum heißt es nicht "nach dem Glamour" oder Nach-Glamour oder ähnlich?)

Was wird aber nun kritisch rezipiert und wie? Plüsch und Kitsch, Luxus und Konsum, Oberflächlichkeit und Rückkehr zum tradierten Geschlechtsrollenmodell sind die Themen. 

Konstantin Latyshev
... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016


Konstantin Latyshev, geb. 1966, gehört zu den älteren, arrivierten Künstlern. Er malt im Stil der Pop-Art, der - erst hier, in dieser russischen Schau, wird man dessen erstaunt gewahr - optisch auf den ersten Blick sehr viel gemein hat mit dem bierernst daherkommenden sozialistischen Realismus. Latyshevs Bilder sind durchsetzt mit ironischen oder kritischen Untertönen. Eher harmlos erscheint Moskau als Kurbad. Neorealistische Pop-Art auf Russisch und mehr als makaber dagegen gerät der Ausflug mit lustiger Inszenierung einer Erschießung. Auf einem Plakat daneben ein Pärchen, im Aufbruch zur Demo, doch das verrät nur der Untertitel, denn die beiden haben sichtlich Besseres zu tun, während sie den Betrachter anschauen. Er fummelt an ihren Brüsten; es ist eher ein pornografisches Vorspiel. Das ist aber das Schärfste, was die Ausstellung bietet.

Und ewig glitzert das russische Weib ...

Da stehen auf der einen Seite der Konsum und die Glitzerwelt im Fokus der Werke. Goldig und bunt glitzert das Ensemble mit Föten aus Plastilin von Leonid Sokhranskis. Auf der anderen Seite (des gleichen Landes) findet sich seit der Auflösung des Sowjetimperiums die Rückkehr zum alten Rollenmodell. Auf die neue alte Rollenverteilung, die die Frau im Heim am Herd sieht, spielt Vadim Gushchin laut Natalia Gershevskaya, Kurator der KIT-Ausstellung, mit seinen "Tin Lids" an, Portraits von Einweckglasdeckeln, die mit ihren Aufschriften die alltägliche Lebensgeschichte in Kurzform notieren. Andererseits sind die Moskauer Küchen aber auch der traditionelle "Ort für Treffen und Gespräche der sowjetischen Intelligenzija" (Pressetext). "Tin Lids" ist also auch ein vorsichtiger politischer Hinweis.

Die Reduzierung der Frau als Erotik- und Sexualobjekt spielt bei den meisten Arbeiten eine große Rolle, so bei der zugleich und zusammen mit Gershevskaya als Kurator fungierenden Jewgenija Tschuikowa (Skulpturen mit einbetonierten Nagellackfläschchen) und Elena Berg mit ihren scheinbar abstrakten Objekten, die aus Tausenden von künstlichen schwarzen und roten Fingernägeln bestehen. Viktor Kirillov-Dubinskiys fotorealistisches Gemälde „Die Schaffung der Welt“ ist fast schon eine Kopie von Gustave Courbets „Der Ursprung der Welt“, von dem es sich essenziell nicht wirklich wahrnehmbar unterscheidet.

Vikenti Nilin widmet sich dagegen dem, was den russischen Mann auszeichnet: Sein "Photo Studio" gab dem (männlichen) Besucher die Möglichkeit, seine Potenz im Selfie zu verewigen und damit (unbewusst und vermutlich auch ungewollt) Teil einer Performance zu werden. Im KIT wird die Vorrichtung ausgestellt; sie ist nicht nutzbar. (Vielleicht würde sich der deutsche Mann nicht trauen, oder erreicht seine Männlichkeit nicht die Dimension der russischen Installation?)

Vikenti Nilin, Photo Studio
... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016

Jedenfalls ist die Performance so keine Performance, sondern eine zahnlose Dokumentation. Das gilt auch für die in Videos erfahrbaren Performances "All ahead!" von Andrey Kuzkin und Olya Kroytor. Letztere schwebt dann in "Isolation" tatsächlich auch live im Düsseldorfer KIT über einem roten Teppich. Andrey Kuzkin verschloss 2011 für 29 Jahre sein gesamtes Habe in eisernen Boxen, von denen im KIT über 30 zu sehen sind. Das Video dokumentiert die Inventarisierung und den zeitweiligen Ent-Äußerungsprozess von Kuzkin. Aber: Eine Performances als Video – das ist schon seit Fluxus lahme Zookunst.
Trotzdem gehört Kuzkin mit seinen auf den ersten Blick an die Sponti-Zeit erinnernden Aktionen zu den interessantesten der Düsseldorfer Ausstellung.

Andrey Kuzkin, All ahead!... Nach Glamour, 
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016

Aufbau für die Performance Isolation von Olya Kroytor
... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016




Rostan Tavasiev: Warm it up! - Flammende Vulva


Eine kleine, sehr schöne Arbeit aus der "Warm it up!"-Serie von Rostan Tavasiev (leider hier nicht im Bild) soll noch hervorgehoben werden: Ein unscheinbarer weißer Würfel, aus dem eine Flamme zu lodern scheint, das heißt: keine Flamme, sondern flammenfarbiger Plüsch in Form der weiblichen Scham.

Rostan Tavasiev in der Pechersky Gallery
Rostan Tavasiev, Warm it up-Serie in der Pechersky Gallery
Courtesy/Quelle:
https://www.artsy.net/pechersky/artist/rostan-tavasiev,
https://vk.com/wall254904078_323


Die andere russische Kunst 

Es ist eine deutsch-russische Ausstellung, wie Gertrud Peters, Leiter des KIT betont. Ist es Kunst, die nur in westlichen Galerien und Museen gezeigt wird? Oder ist es wirklich russische Kunst? Ist diese Kunst in Russland präsent? Natalia Gershevskaya, Kurator der Schau: "Ja, sie ist präsent. Es gibt auch einige Gruppen und Zirkel. Olga Kroytor und Andrey Kuzkin sind sehr bekannt. Olga Kroytor hat mehrere Auszeichnungen bekommen. Sie sind wirklich sehr aktiv. Das ist die eine Seite. In Russland sind aber - anders als im Westen - Kulturpolitik und Kunstwelt nicht einig. Es gibt die Kulturpolitik und die offizielle Kunst. Das ist ein bisschen wie zur sozialistischen Zeit. Der sozialistische Realismus ist die Kunst, alles andere existiert einfach nicht. Jetzt ist es so, dass die andere Kunst existiert, sie ist auch präsent, aber eben nur in bestimmten Kreisen. Die Kunst der Kulturpolitik des Staates ist eine andere Kunst." Und lässt man in Russland die Kunst, die in Düsseldorf bei "... nach Glamour" gezeigt wird, zufrieden? Gershevskaya bejaht dies, sie wird nicht verfolgt und unterdrückt, nur gibt es keine Unterstützung und kein Geld von staatlicher Seite.

Also, das Fazit

Also, zusammengefasst: Russland ist nicht nur superreiche Männer mit ihren schönen Platinblondinen. Es gibt auch eine kritische Kunst, das heißt: eine Kunst, die kritisch zwar nicht die Politik, aber zumindest diese auf Glamour und Glitzer schielende Konsumorientierung und diese neuen alten Geschlechterrollen rezipiert. Wem das an kritischer Rezeption reicht, der besuche die kleine, interessante und leichtgängige Schau im KIT am Rheinufer, am besten in der Mittagspause am ersten Mittwoch im Monat.
  • Warum eigentlich nicht in der KIT-Kunstpause?! Jeden ersten Mittwoch bietet das KIT um 13 Uhr eine Kurzführung (3,- Euro) und danach 20 % Rabatt auf den Mittagstisch im Café darüber, und das auch noch mit Rheinblick.)
  • Die russischen Künstler haben den Weltkunstmarkt noch nicht so gekonnt im Blick wie die chinesischen. Viele Titel sind nur russisch motiert und werden daher im Westen in oft holprigen Übersetzungen und nicht mit eindeutigen englischen Titeln herumgereicht. Kuzkins Vermögens-Entäußerung "All ahead!" kursiert auch als "Everything is foward!" (sic!) im Netz.

Infos zu "... Nach Glamour" in Düsseldorf


  • Laufzeit: 27. August 2016 – 30. Oktober 2016.
  • Adresse / Kontakt: KIT – Kunst im Tunnel, Mannesmannufer 1b, 40213 Düsseldorf, Tel. +49 (0)211.89 20 769.
  • Anfahrt / ÖPNV: Am besten mit dem ÖPNV vom Hauptbahnhof mit den Straßenbahnen 706, 708, 709 bis Haltestelle Landtag/Kniebrücke. Parken unter Rheinkniebrücke.
  • Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag, Feiertage: 11 – 18 Uhr.
  • Eintrittspreise: 4 €, ermäßigt 3 €.
  • Freier Eintritt: Kostenlos an jedem 2. Sonntag im Monat.
  • Führungen sonntags, 15-16 Uhr. Oder:
  • KIT / meet + talk: samstags, 12-16 Uhr, sonntags, 11-15 Uhr. Statt Führung und Vortrag - Diskussion und Gespräch über die Ausstellung. Oder:
  • Kunstpause, jeden ersten Mittwoch Kurzführung, Eintritt: 3,- Euro, ab 13 Uhr, 20% auf den Mittagstisch im Café. 
  • Familientag: jeder 2. Sonntag im Monat, Familienführung 13-14.30 Uhr. Eintritt frei.
  • Welcome Workshop jeder 2. Freitag im Monat, 16-18 Uhr, kostenlos. Kinder aus Düsseldorfer Flüchtlingsunterkünften besuchen mit anderen Düsseldorfer Kindern die aktuelle Ausstellung und werden anschließend selbst kreativ. Anmeldung unter bildung@kunst-im-tunnel.de. 
  • Web: ... Nach Gamour, KIT, Düsseldorf
  • Programm mit Veranstaltungskalender, u. a. 01.09.2016: Künstlergespräch mit Olya Kroytor, Andrey Kuzkin, Vivian Greven und Kuratorin Natalia Gershevskaya. 18 Uhr. Eintritt frei, 09.09.2016: Welcome Workshop. 28.09.2016 und 19.10.2016, 16-17.30 Uhr: zweisprachige Kinderführung (russisch-deutsch). 01.10.2016, 16-17 Uhr: Kuratorenführung. 08.10.2016 und 29.10.2016,  13-17 Uhr: Kinder-Workshop „Goldrausch“ (6-9 Jahre). 

Fotos zu ... Nach Glamour, KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016

Olya Kroytor, Isolation, 2014
Performance KIT – Kunst im Tunnel
Foto: Ivo Faber

... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016

Rostan Tavasiev, Cinema
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KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016
Leonid Sokhranskis, Twins
... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016



Kuratorin Natalia Gershevskaya, Gemälde von Konstantin Latyshev
... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016
Ein interaktives Kunstwerk ist laut Kuratorin Natalia Gershevskaya Anna Zheluds Iron Wedding, die auf den leeren Hochzeitsglamour verweist: Metallene Konturen von Hochzeitskleidern, die sich der Besucher anhalten kann. Wenn das schon interaktive Kunst ist ... 

Anna Zhelud, Iron Wedding... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016




... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016

... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016

Quadratische "Abstraktion" - Schwarze Kunst mit künstlichen Fingernägeln von Elena Berg:

Elena Berg, Elluvium
... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016

Die Schaffung der Welt, Viktor Kirillov-Dubinskiy
... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016


... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016

Rostan Tavasiev, Cinema
... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016

Kurator Natalia Gershevskaya und Getrud Peters, künstlerischer Leiter des KIT
... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016

Tin Lids von Vadim Gushchin... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016

Jewgenija Tschuikowa, Platz im Leben finden
... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016

Jewgenija Tschuikowa, Platz im Leben finden
... Nach Glamour,
KIT, Düsseldorf, 27.08.2016 – 30.10.2016

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