Dienstag, 23. Juni 2015

China 8 - 4 Stars = 2 Künstlerduos


Lin Tianmiao lässt mit ihren goldigen Totenschädeln keinen gruselig-provokativen Kitsch aus. Bei Yin Xiuzhen wird es weich und warm und bunt und irgendwie wohnlich. Wang Gongxin schafft ebenso meisterliche Stillleben der Videokunst wie auch aggressive Installationen hektischer Filmschnitte.
Lin Tianmiao: Statue
China 8, Osthaus Museum Hagen, 2015

Song Dong

Und Song Dong ist wie die anderen drei ein Star der chinesischen Kunstszene (... und Millionär, der "von seiner Kunst leben kann, und zwar sehr gut leben kann" (Georg Elben, Direktor des Skulpturenmuseum Glaskasten Marl, wo derzeit im Rahmen von China8 Videokunst vom Allerfeinsten gezeigt wird).

Im MoMA füllte er 2009 das gesamte Erdgeschoss als Project 90 bei "Waste not" mit einem Wust unterschiedlichster Gegenstände, die seine Mutter gesammelt und gehortet hatte.
Song schreibt mit Wasser Tagebuch, so dass dessen Einträge sich nach dem Schreiben verflüchtigen. Im Duisburger DKM kann seine Installation "Write Your Message With Water" benutzt werden, bei der man (flüchtige) Nachrichten mit Wasser auf einen Stein pinselt.

Song Dong: OperatorKunstmuseum Mülheim, Modelle der Irritation – Installation und Skulptur,
15. Mai bis 13. September 2015
Bei China8 bleibt Song Dong eher blass: In Hagen liegt derzeit ein überdimensionales Essstäbchen (unten dazu mehr); in Marl dokumentiert er mit zwei links und rechts am Lenkrad angebrachten Kameras eine Radfahrt durch Peking; in Mülheim steht der altertümliche Schrank eines Telefon-Vermittlers, den Song im Inneren umgebaut hat zu einem beengten Obdach - ein Wink mit dem Zaunpfahl auf die erbärmliche Situation chinesischer Wanderarbeiter, die auf der Suche nach Arbeit in die Städte ziehen.

Yin Xiuzhen: Hagener Zimmer

Mit Song zu reden ist schwierig bis unmöglich für den, der kein Chinesisch spricht. Das ist bei seiner Frau Yin Xuizhen anders: Sie spricht Englisch, so dass man sich auch als profaner Westler mit ihr verständigen kann - etwas, was trotz der Präsenz und marktgängigen englischen Werktitel der chinesischen Künstler einem kleinen globalen Kommunikationswunder gleicht.
Und: Yin Xiuzhen ist keineswegs die kleine Chinesin an Songs Seite. 2012 widmete ihr die Kunsthalle Düsseldorf eine Soloausstellung (im November 2015 wird ihr Song Dong folgen), und nach dem, was man gerade bei China8 sieht, ist sie ein Song (mindestens) ebenbürtiger Künstler.

Yin Xiuzhen: Portable City - Shenzhen
China 8, Osthaus Museum Hagen, 2015
Yin Xiuzhen hat in Hagen einen eigenen Raum, in dem zwei aufgeklappte Koffer mit zwei tragbaren Städtchen mit ihren markanten Bauwerken liegen, einmal Shenzhen, einmal Hangzhou. Eine niedliche Stadtlandschaft aus Textilresten und gebrauchter Kleidung. Ein ähnlicher Koffer, diesmal mit der Düsseldorf-Miniatur, steht seit 2012 im Kunstpalast (Fotos siehe unten). Hübsch bunt und niedlich. Ein Stück Heimat für die Fremde?
In Hagen ziehen sich oben durch den Raum Fäden zu den Wandpunkten, die für die Städte stehen, die Yin bereits zu tragbaren Versionen verarbeitet hat, und bilden die Anfänge eines globalen Netzes.


Daneben drei Bücherregale, vollgestopft und kunterbunt oder - ähnlich der tragbaren Stadtlandschaften - farblich fein abgestimmt, bei denen die Bücher wie Suhrkamp-Serien dicht gedrängt in regenbogenfarbenen Umhüllungen stehen, die sich auf der Rückseite der Regale als Kleidungsstücke herausstellen.

Yin Xiuzhen: Portable City - Bookshelf
China 8, Osthaus Museum Hagen
15. Mai bis 13. September 2015

Song Dong und Yin Xiuzhen, die beide als Konzeptkünstler gelten, schaffen auch gemeinsame Werke, teilweise sogar zusammen mit ihrer (2013 11-jährigen) Tochter. 

Song Dong / Yin Xiuzhen: Chopsticks 2006
China 8, Osthaus Museum Hagen, 2015
In Hagen liegen zwei "Essstäbchen" ihrer Chopstick-Serie, die aber hier etwas farblos bleibt. Zwei überdimensionale Essstäbchen, die eher aussehen wie Torpedos, das eine aus Stahl (mit Ornamenten oder Schriftzeichen? jedenfalls wirkt es nicht so, als ob es etwas verberge unter oder auf seiner dunkelgrauen Oberfläche), das andere (von Yin) überzogen mit lehmbraunen Lumpen, besetzt mit der Miniatur einer asiatischen Tempelanlage.

  • Zur Essstäbchen-Reihe: "Since 2001, the Beijing-based artists have collaborated on a signature long-term conceptual art project that balances the importance of independence and partnership: they create singular large-scale chopstick sculptures, built according to certain agreed-upon parameters, but completed in isolation. Neither artist knows what the other will do until the final sculptures are revealed and joined together. The artists believe that chopsticks serve as an ideal metaphor for family: neither one can function, creatively or as parents, without the other." (PhiladelphiaArtAlliance 2013)

Yin/Song sind mit den aus alltäglichen Utensilien verfertigten oder durch sie angeregten Werken ein Beispiel für ein oft bei aktuellen chinesischen Künstlern anzutreffendes Motiv: Der nostalgische und melancholische Blick zurück in die Kindheit, in die kleine Welt der Familie, des trauten Heims, ins traditionelle China – das sind häufige Inspirationsquellen.

Ganz anders? Lin Tianmiao

Lin Tianmiao arbeitet ebenfalls mit Textilien und Alltagsgegenständen und ist die zweite Entdeckung bei China 8 in Hagen: "Statue" ist keine Statue, sondern eine Sammlung Schädel auf Podesten in einer Reihe, "wie Hühner auf der Stange", angetan mit absurden Requisiten. Schaurig-schöne Torsi, dicht umwickelt mit silbernen und goldenen Fäden. Witzig verspielt? Es sind Totenschädel, fleischlos, statt Nasen Höhlen, statt Augen Löcher. Meist deformiert, gequetscht wie nach einem Verbrechen oder durch Verschüttung, gelängt wie bei exotischen Schönheitsidealen. Und immer verletzt. Einem ist eine Schaufel ins Gebiss gerammt; einer hat sich an einer Kokosnuss (?) verschluckt; auf einen zielt seitlich eine Bohrmaschine als wäre diese eine Pistole – und hat sich schon tief in den Knochen gebohrt; einen ziert die eigene, säuberlich als Halbkugel ausgeschnittene Schädeldecke wie ein Heiligenschein oder Schirm; ein Kopf ist von einer Trompete durchstochen.

Lin Tianmiao: Statue
China 8, Osthaus Museum Hagen
15. Mai bis 13. September 2015

Keine "typisch weibliche" textile Kunstfertigkeit zur weichen Auspolsterung oder Dekoration des Heims wie bei Yin, kein vorsichtig kritischer, melancholischer Blick zurück wie bei Song/Yin. Bei Lin steckt mehr Spiel und mehr Provokation.

Lin Tianmiao bildet mit Wang Gongxin, den in Marl mit meisterhaften Stillleben vertretenen chinesischen Videokünstler, wie Yin/Song ein international überaus erfolgreiches Künstlerpaar. Die beiden sehen eher aus wie zwei Grundschullehrer, na, jedenfalls eher bieder, und eigentlich würden zu ihnen sehr gut die mehr nach innen und rückwärts gerichteten Werke des Duos Yin/Song passen. Die wiederum ziemlich trendig und aufmüpfig auftreten, also so, als hätten sie die provozierenden und mehr aktuell, zeitgemäß wirkenden des Lin/Wang-Paars geschaffen …

Weiteres vom Schreiberling zur China 8


Infos zu den Künstlerduos Yin Xiuzhen/Song Dong und Lin Tianmiao/Wang Gongxin

  • China 8: Laufzeit 14. Mai 2015 - 13. September 2015 - Zeitgenössische chinesische Kunst - 9 Ausstellungen in 8 Städten: Duisburg, Düsseldorf (nur bis 30.8.15), Marl, Mülheim, Recklinghausen, Hagen, Gelsenkirchen, Essen.
  • Song Dong ist bei China 8 in Hagen, Mülheim, Marl vertreten, außerdem im DKM Duisburg, Yin Xiuzhen in Hagen, zudem im Kunstpalast Düsseldorf, Lin Tianmiao bei China8 ebenfalls in Hagen, Wang Gongxin bei China8 in Düsseldorf und Marl.
  • Infos:

Yin Xiuzhen

Yin Xiuzhen: Portable City - Düsseldorf
Kunstpalast Düsseldorf, 2015

Yin Xiuzhen: Portable City - Düsseldorf
Kunstpalast Düsseldorf, 2015


Yin Xiuzhen: Bookshelf
China 8, Osthaus Museum Hagen
15. Mai bis 13. September 2015


Yin Xiuzhen: Bookshelf
China 8, Osthaus Museum Hagen
15. Mai bis 13. September 2015
----------------------------------------------------------------------

Song Dong

Song Dong: OperatorKunstmuseum Mülheim, Modelle der Irritation – Installation und Skulptur,
15. Mai bis 13. September 2015

Song Dong: OperatorKunstmuseum Mülheim, China 8
Modelle der Irritation – Installation und Skulptur,
15. Mai bis 13. September 2015

Song Dong: Bicycle
Skulpturenmuseum Glaskasten Marl, China8
14.5.-13.9.2015
 
Song Dong: Write your Message with Water
Museum DKM, Duisburg


Liu Jianhua und Song Dong (rechts) im Folkwang Museum Essen
Pressekonferenz China 8, Mai 2015

Liu Jianhua und Song Dong (links) im NRW-Forum Düsseldorf
Pressekonferenz China 8, Mai 2015

Liu Jianhua und Song Dong (links) im NRW-Forum Düsseldorf
Pressekonferenz China 8, Mai 2015

Song Dong im NRW-Forum Düsseldorf
Pressekonferenz China 8, Mai 2015



Shi Jinsong (l.) und Song Dong (r.) am Skulpturenmuseum Glaskasten Marl
Pressekonferenz China 8, Mai 2015
----------------------------------------------------------------------

Song Dong / Yin Xiuzhen

Song Dong / Yin Xiuzhen: Chopsticks 2006
China 8, Osthaus Museum Hagen
15. Mai bis 13. September 2015

----------------------------------------------------------------------

Lin Tianmiao

Lin Tianmiao: Statue
China 8, Osthaus Museum Hagen
15. Mai bis 13. September 2015

Lin Tianmiao: Statue
China 8, Osthaus Museum Hagen
15. Mai bis 13. September 2015

Lin Tianmiao: Statue
China 8, Osthaus Museum Hagen
15. Mai bis 13. September 2015

Lin Tianmiao: The Gold Sameness
China 8, Osthaus Museum Hagen
15. Mai bis 13. September 2015

Lin Tianmiao: The Gold Sameness
China 8, Osthaus Museum Hagen
15. Mai bis 13. September 2015
----------------------------------------------------------------------

Wang Gongxin

 Wang Gongxin, China 8, NRW-Forum Düsseldorf, 2015
Wang Gongxin: Still Life
Glaskasten Marl, 14.05.2015-13.09.2015
Die angehaltene Zeit. Video und Sound

Wang Gongxin: Still Life
Glaskasten Marl, 14.05.2015-13.09.2015
Die angehaltene Zeit. Video und Sound



(Alle Fotos, sofern nicht anders erwähnt: Vera Kriebel, April/Juni 2015) 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen